Heutzutage heißt Film nicht mehr automatisch Kino. Genauso hat sich der Film bereits von seiner grundsätzlichen Assoziation mit analogem Filmmaterial verabschiedet – es wird fast nur noch digital gedreht. Schon häufig wurde deshalb bereits der apokalyptische Untergang der Filmkunst prophezeit. Ein solch pauschaler Kulturpessimismus mag falsch sein; dennoch ist es bedauerlich, dass die Gelegenheiten, die auratische Wirkung einer Zelluloidprojektion mitzuerleben, über die letzten Jahre immer weniger und weniger geworden sind. Der besondere Charakter von Kinovorstellungen, mit einem immer anderen Publikum, in dem jede zuschauende Person ausgehend von ihrem Hintergrund leicht andere Reaktionen auf das gezeigte haben wird, lässt sich beim Netflix schauen zu Hause nur schwer replizieren. Jede Vorführungssituation ist ein bisschen anders und birgt somit das Potenzial, den geschauten Film entweder zu bereichern oder komplett zu versauen. Oft wird es im Kino als Ideal angesehen, den Film ungestört und ohne Außeneinflüsse gänzlich aufsaugen zu können. Das mag in vielen Fälle zutreffen, kann ich genauso gut eine gute Hand voll Kinosituation aufzählen, bei denen hör- und sichtbare Publikumsreaktionen den Film merklich bereichert haben. Zuletzt waren dies die Filme Ach du Scheisse! von Lukas Rinker und Anatomie von Stefan Ruzowitzky: Zwei deutsche Horrorfilme, die natürlich erst einmal ein bestimmtes Milieu in die Vorstellung ziehen. Nur bei wenigen vergleichbaren Genres ist die Vorerfahrung mit anderen Filmen so bestimmend für die Rezeption neuer Titel wie beim Horrorfilm. Handlung und Inszenierung folgen oft einem leicht erkennbaren Schema, an welchem sich die Erwartungen von Genrefans in der Regel orientieren. In Ach du Scheiße! saßen vor allem solche Fans, die auf den Film ähnlich reagierten wie ich - in den gleichen Momenten lachten, wegschauten usw. Doch auch die Abweichungen von meiner Wahrnehmung waren ein Genuss. So verließen nach der ersten blutigen Szene zwei Damen aus der ersten Reihe abrupt den Saal. Das Kino war rappelvoll und alle bekamen es mit. Herrlich. Weniger angenehm war es dann, als ich im Kinopolis Gießen One Piece Film Red ansah. Der ganze Saal war mit Animefans gefüllt, die den Film scheinbar gedanklich von ihrem heimischen Sofa aus schauten. Ständig wurde dazwischengerufen. Angeblich gebe es zu viel Gesinge und die weibliche Hauptfigur wurde für ihre Handlungen misogyn beleidigt. Nicht nur mich störte das: Aufforderungen, den Mund zu halten flogen ebenfalls durchs Kino, waren jedoch wenig erfolgreich. Auch wenn es sich hierbei um eine klar negative Schauerfahrung gehandelt hat, muss ich doch sagen, dass ich sie wahrscheinlich nicht allzu schnell vergessen werde. Ein schlechtes Erlebnis vermag es nicht, mich vom Kino fernzuhalten – wobei, vielleicht doch zumindest vom Kinopolis in Gießen. Denn ich gehe nicht nur ins Kino, um Filme zu sehen, sondern auch um etwas zu erleben und den Menschen zu begegnen.