In der Karriere des Filmemachers Edward Davis Wood Jr. spielt sich Ende des Jahres 1956 ein kurioser Moment ab. Beim Dreh für seinen Low-Budget-Film Plan 9 from Outer Space (Plan 9 aus dem Weltall, US 1959) wird eine zentrale Einstellung inszeniert: Dort entweicht der Antagonist des Filmes sichtlich stümperhaft aus einer zusammengepappten Kartonnachbildung einer schaurigen Gruft. Umgeben von Nebelschwaden hält er seine ummantelten Arme vor seine untere Gesichtshälfte, während er in Richtung des linken Bildrandes schleicht – offensichtlich will er etwas verbergen. Laut des Filmposters wird dieser Antagonist von Schauspiellegende Bela Lugosi verkörpert, der Graf Dracula 1931 ein Gesicht verlieh und in mehr als 100 Spielfilmen auftrat. Nun zurück zur Einstellung: Der Antagonist trottet weiter mit der Absicht den Inspektor Dan Clay (Tor Johnson) einzuholen und ihn dann zu ermorden. So verschwindet er aus dem Bildkader und es wird auf den verängstigten Inspektor geschnitten. Die Einstellung ist also abgedreht; wir entweichen nun aus der Diegese in die afilmische Realität. Der Regisseur mit dem Spitznamen Ed Wood ruft wahrscheinlich „Cut!“ und der Schauspieler Bela Lugosi kann sich entspannen. Also nimmt er seine Arme runter. Zum Vorschein kommt jedoch Tom Mason: der Chiropraktiker von Ed Woods Frau, kein Schauspieler. Lugosi ist schon vor mehreren Monaten verstorben und Tom Mason vertritt ihn in seiner Rolle des Bösewichtes, obwohl er offensichtlich ein Amateur ist. Das alles wirkt bei erster Betrachtung durchaus eigenwillig und hinterfragbar. Dennoch können uns Ed Woods Filme einen besonderen Zugang zum Phänomen des Trashfilmes und seinem Potential ermöglichen.
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Tom Mason in Plan 9 from Outer Space
Auch Regisseur Tim Burton hat sich in seinem
Biopic Ed Wood (US 1994) mit dem besonderen
Filmemacher beschäftigt. Hier
reproduziert er die geschilderte Szene ähnlich.
Beim Drehen der zentralen
Einstellung wird auf Ed Wood geschnitten,
hinter ihm stehen zwei Produzenten.
Er ist begeistert von Tom Mason und seiner
Performance, sie sind entsetzt von
Woods Idee. „Isn’t it wonderful? Bela
lives“, raunt Wood träumerisch entrückt;
die Produzenten entgegnen
verwundert: „Doesn’t it strike
you as a bit morbid?“ - „No. He
would’ve loved it. Bela’s returned
from the grave. Just like
Dracula“, antwortet er. Mit dieser
Szene zeigt Tim Burton den
besonderen Wert, den Ed
Woods Arbeit annehmen
kann: Ein eigenwilliger Außenseiter, der mit gesellschaftlichen
und künstlerischen Konventionen nicht
zurechtkommt, macht Kunst, die durch ihren andersartigen
Charakter neue Ideen und Besonderheiten
hervorbringt, egal wie (konventionell betrachtet)
schlecht oder hinterfragbar sie wirkt. 25 Jahre später
wird dieser Moment noch einmal von der Sendung
Schlefaz (DE seit 2013) reflektiert. In dieser Fernsehshow,
deren Abkürzung für „Die schlechtesten Filme
aller Zeiten“ steht, kommentieren Oliver Kalkofe und
Peter Rütten ausgewählte Filme, die sie als lowlights sehen,
Filme, die aus „Kackfilm-Schmieden“ kommen
und das worst-of aus ihrem Genre bilden. In der siebten
Staffel der Sendung behandelten sie Plan 9 from Outer Space. Als der bereits geschilderte Moment,
bei dem Tom Mason als Lugosi den Antagonisten des
Filmes darstellt, in die Fernsehbüchse übertragen wird,
erscheint eine kommentierende Bauchbinde. Dort ist
geschrieben: „Bela Lugosi hält sich das Tischtuch nur
vor die Gummel, damit keiner merkt, dass er gar nicht
Bela Lugosi ist! #SchonLangeTot“. Später wird der
Film noch als „Elend“, „Kackhaufen“, „Arbeitsverweigerung“
und „Mord […] am Kino“ betitelt. Dies sind
nur einige von vielen zynischen und vor allem unfairen
Spitzen, die Kalkofe und Rütten an die gezeigten Filme
verteilen. Obwohl die Moderatoren oft in
Interviews und Werbetexten versichern, dass sie die Filme
doch so sehr lieben, dreschen sie respektlos auf sie
ein, stellen sich über sie, behandeln sie, als wären sie
Abfall –Trashfilme halt. Es geht ihnen nicht darum,
die Filme vorzuführen, um sie mit Respekt zu behandeln,
es geht ihnen darum, die Filme vorzuführen, damit
über sie gelacht wird. Sie regen das Publikum
durch unterschiedlichste Mittel genau dazu an.
Es wird über den Film, nicht mit ihm gelacht.
Die Fernsehsendung ist eine der populärsten
Ausformungen einer sogenannten
So-Bad-It's-Good-Rezeptionskultur,
welche Trashfilme zu So-Bad-It’s-Good-
Filmen (wird im Folgenden als SBIGFilme
abgekürzt) umbenennt und besonders
in cinephilen Kreisen
verbreitet ist.
So-Bad-It’s-Good-Filme
Jeder hat dieses eine guilty pleasure.
Ob es das Dschungelcamp oder Nicolas
Cage Filme sein mögen – wir alle
kennen es. Aber warum sollen wir
uns eigentlich dafür schämen, uns guilty fühlen? Film
ist subjektive Kunst und folglich ist jede Erfahrung
mit Film subjektiv und damit legitim. Die subjektive
Rezeption liegt in der Natur des Mediums – sie macht
das Funktionieren des Mediums erst möglich. Es muss
sich also für nichts geschämt werden. Ähnlich geht es
dem seelenverwandten So-Bad-It’s-Good-Film. Der
Name allein weist auf eine positive Erfahrung, die aus
Scham abgewertet wird, hin. Ein paar der bekanntesten
Beispiele hierfür sind The Room (US 2003),
Birdemic (US 2010), Troll 2 (US/IT 1990) oder
auch Plan 9 from Outer Space. Oft übersehen
beim offiziellen Kinorelease, werden sie Jahrzehnte
später durch soziale Netzwerke wie YouTube oder Letterboxd
neu entdeckt. SBIG-Filme sind besondere
Vertreter von Trashfilmen, Exploitationfilmen oder BMovies
(auch namentlich abwertende Begriffe, die
aber oft als Selbstbezeichnungen fungierten und als gezielte
Marketingstrategie solchen Filmen Vorteile
bringen konnten). Sie haben oft ein geringes Budget
und genau hier liegt schon die erste Problematik:
SBIG-Filme sind selten Big-Budget-Filme (die erwähnenswerte
Ausnahme hier ist Verhoevens Meisterwerk
Showgirls (US 1995) mit einem Budget von 45
Millionen US-Dollar). Obwohl eindeutige Kategorisierungen
des SBIG-Filmes kompliziert sind, scheint es
doch so, dass ein großes Budget schon im Vorhinein
Filme davor verschont in die Schublade des SBIGFilms
eingeordnet zu werden. Doch werden dadurch
nicht Big-Budget-Filme privilegiert und Low-Budget-
Filme diskriminiert? Wie kann es sein, dass monetäre
Mittel automatisch über Qualität bestimmen können?
Sicherlich gibt es einen Zusammenhang zwischen beidem,
aber wohl kaum ein Machtverhältnis. Es gibt
genug Blockbuster, die zeigen, dass ein großes Budget
keine große Qualität garantiert. SBIG-Filme richten
sich mit ihrer unkonventionellen Machart gegen Hollywood
und Blockbuster, somit also auch gegen die
Normen, gegen das Akzeptierte. Sie brechen meist mit
Sehgewohnheiten, werden aber genau dafür als
schlecht, grottig oder trashig bezeichnet, sogar bestraft,
eigentlich nur weil
sie unkonventionell sind.
Doch geht es natürlich
nicht jedem andersartigem
Film mit wenig
Budget so. Arthousefilme
haben ebenfalls geringe
monetäre Mittel und sind
meist unkonventionell. Eigentlich befinden sich also
Arthousefilme und SBIG-Filme im gleichen Lager.
Trotzdem habe ich noch nie mitbekommen, wie jemand
einen Terrence Malick-Film als SBIG-Film
bezeichnet hat, obwohl bei seinen neueren Werken die
Resonanz meistens negativ ist und sicher daraus Unterhaltung
für manche Zuschauer*innen entstehen
könnte – aber warum? Bei der Klärung dieser Frage
spielt künstlerische Intention eine große Rolle.
Beim Arthousefilm scheint automatisch vorausgesetzt
zu werden, dass jede unkonventionelle Entscheidung
mit Intention gefällt wurde und somit Wertigkeit besitzt.
Beim SBIG-Film wird vom Gegenteil
ausgegangen: Intentionen werden oft übersehen oder
verklärt. Und selbst wenn in einem SBIG-Film hinter
einer guten Idee kaum Intention stecken sollte, müssten
doch die Fragen aufkommen: Ist eine Idee erst
dann gut, wenn sie durch eine künstlerische Absicht
gerechtfertigt wird? Sollte Intention wirklich so zentral
bei der Qualitätsbewertung sein?
Schnelle und einfache Antworten auf diese Fragen gibt
es nicht, ich finde aber, dass über Ziele und Beweggründe
von Filmen reflektiert werden soll und muss.
Trotzdem können sie nie objektiv erfasst oder komplett
verstanden werden, vor allem nicht bei einer
ersten Sichtung. Die Bedeutung entsteht erst aus der,
die wir Zuschauende dem Film zuweisen. Die Künstler*
innen können zwar versuchen sie durch
verschiedene Stilmittel zu steuern, aber trotzdem sind
die Zuschauenden verantwortlich für die Interpretation
der Intention. Vielleicht sollte deswegen als erstes
die subjektive Wirkung der Stilmittel erfühlt und dann
über die Bedeutung reflektiert, nicht die „objektive“
Intention vor die eigene Emotion gestellt, werden.
„So-Bad-It’s-Good-Filme richten sich mit ihrer unkonventionellen Machart gegen Hollywood und Blockbuster, somit also auch gegen die Normen, gegen das Akzeptierte.“
Zudem erfährt der SBIG-Film eine paradoxe Rezeption: Die Filme werden als unterhaltsam wahrgenommen, aber trotzdem als schlecht bewertet. Doch ist nicht eines der vielen Wunder der Kunst, dass sie einen mitreißen und aus der Realität in eine neue teleportieren kann; einen wunderschönen Traumzustand erschafft? Sollte dann nicht ein Film, der genau dies auslöst und uns Unterhaltung schenkt, gut sein? Dem SBIG-Film wird genau dies abgesprochen. Er muss damit leben, anders behandelt zu werden als die meisten Filme. Die subjektive Erfahrung wird zurückgelassen, eine objektive wird erschaffen. Die objektive Erfahrung richtet sich nach Parametern, die als allge-meingültig angesehen werden und an denen gemessen wird, ob ein Film schlecht oder gut ist. Ein SBIG-Film entspricht meistens nicht diesen künstlich erschaffenen, „objektiven“ Parametern. Dass er trotzdem Spaß gemacht hat, oder eine einzigartige Seherfahrung schenken konnte, wird nicht mehr beachtet. Die Objektivität, die eigentlich bei der Filmrezeption kaum eine Rolle spielt, eben weil Kunst selbst nicht objektiv ist, gewinnt hier schlussendlich über die durchrationalisierte Subjektivität. Sie gewinnt über die Ehrlichkeit, die eigenen Gefühle und Erfahrungen zuzulassen, zu ihnen zu stehen und sie zu reflektieren. Wichtige Fragen, die aus solchen ambivalenten Seherfahrungen entspringen können, wie zum Beispiel: „Was für Gefahren birgt das Medium Film, wenn wir mit ihm nicht einverstanden sind, es uns aber trotzdem unterhält?“, gehen komplett unter.
Die Opfer der So-Bad-It’s-Good-Kultur
Ein typisches weiteres Merkmal eines SBIG-Filmes ist eine zentrale Persönlichkeit, die hinter dem Film steht. Sie hat nicht nur am Film mitgewirkt, sondern verkörpert ihn. Bei The Room ist Regisseur, Drehbuchautor und Darsteller Tommy Wiseau zu einem ähnlich großen Phänomen wie der Film selbst geworden. Die SBIG-Rezeption erschafft einen „liebenswürdigen Freak“, der auf ewig mit dem Film verknüpft ist, weil sein eigenwilliger Charakter sich dort zu manifestieren scheint. Deswegen ist eben die Abwertung, die ein SBIG-Film erleidet, eine, die auch die mit dem SBIG-Film verknüpfte Persönlichkeit erfahren muss. Oft besitzen diese Personen Eigenschaften, die nicht den Normen der Gesellschaft entsprechen, sie fallen auf, sind Außenseiter*innen. Sie haben im Medium Film eine Chance gesehen, aus dieser Rolle herauszutreten, werden aber vom größten Teil des Publikums wieder zurückgestoßen. Somit kann die Rezeption des SBIG-Filmes auch gesellschaftliche und politische Dimensionen, folglich auch Konsequenzen, annehmen. Beim folgenden Beispiel aus der Filmgeschichte wird dies besonders klar.
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Lana Kaiser in Daniel der Zauberer
In Deutschland nimmt der Film Daniel der Zauberer (DE 2004) eine besondere Rolle ein: Er ist einer der einzigen SBIG-Filme, die aus diesem Land kommen (die einzigen wirklichen Konkurrenten sind Macho Man (DE 1985) und Die Brut des Bösen (DE 1979)). Hier ist nicht der Filmemacher, sondern die Hauptdarstellerin Lana Kaiser die zentrale Persönlichkeit. Daniel der Zauberer ist ein genauso extrovertierter, wie unsicherer Film, der sich in all seiner Naivität, Schrillheit, Authentizität und Queerness Lana Kaisers Persönlichkeit annähert und teils sogar autobiografische Bezüge zu ihrem Leben herstellt. Er zeigt Sorgen, Wünsche und Träume von ihr in einer untypisch, nicht zynischen Sichtweise. Kaiser wird hier von Ulli Lommel, der einst Protegé Fassbinders war, inszeniert, ohne Böswilligkeit oder Hass. Diese Fairness wurde ihr von den Medien jedoch ihr Leben lang verwehrt. Besonders deutlich wurde das 2018. Damals (und auch leider heute noch) war sie unter ihrem Deadname Daniel Küblböck bekannt. Kurz vor ihrem Verschwinden auf dem Kreuzfahrtschiff AIDA outete sich Lana als Transfrau. „Es ist jetzt an der Zeit endlich mein wahres Ich, das Gesicht einer Frau zu zeigen“, hieß es in ihrem Coming-out-Statement. Nach dem tragischen Vorfall auf der AIDA hat die Boulevardmaschinerie Tausende an Meldungen und Schlagzeilen über Lana Kaiser veröffentlicht. Dort mutmaßte sie über ihre Geschlechtsidentität, über ihre Psyche, über Selbstmord. Fast kein einziges Mal wurde ihr echter Name, ihre echten Pronomen verwendet, besonders weil sie nie als Person und als Künstlerin ernst genommen wurde. Dies begann bereits 2002 durch ihre Teilnahme an der ersten Staffel des Casting-Formats Deutschland sucht den Superstar (DE seit 2002). Damals wurde sie als meinungsspaltender Problemfaktor und überemotionaler Paradiesvogel beleidigt und inszeniert. Formate wie dieses setzen bei genauerem Hinsehen auf einen SBIG-artigen Mechanismus. Es werden Personen ausgelacht, die aber genau deswegen unterhalten. Es wird etwas als unterhaltsam wahrgenommen und trotzdem herabgewürdigt, besonders weil es nicht gesellschaftlichen Normen entspricht. Im Fall der Realityshow trifft der Spott der Zuschauer*innen allerdings nicht das Werk selbst, also DSDS, sondern die dort vorgeführten Protagonist*innen. Hier wurde Lanas Queerness als problematischer unkonventioneller Faktor dargestellt. Ulli Lommels Blick kämpft gegen all diesen Pessimismus an und geht zutiefst ehrlich und emphatisch mit Lanas Person um, der besonders durch die Klatschpresse viel Unrecht getan wurde. Selbst nach ihrem Tod wird sich immer noch weiter über Lana Kaiser lustig gemacht. Beim Auslachen von Daniel der Zauberer wird auch Lana Kaiser ausgelacht, die Zuschauer*innen behandeln sie genauso, wie die Boulevardmedien, der gleiche diskriminierende Mechanismus entsteht. Es scheint, dass die So-Bad-It’s-Good-Rezeptionskultur als Deckmantel für die Medienbranche und deren Konsument*innen diente, um ihren Hass auf queere und vor allem Trans*personen an Lana Kaiser ausleben zu können. Seit ihrer Teilnahme an DSDS, und ihrer darauffolgenden Medienpräsenz, hat sie all diesen Hass aushalten müssen.
Der So-Good-It’s-Good-Film
Beim Betrachten der SBIG-Filme fällt auf, dass viel von ihrem Potential ignoriert wird. Gesellschaftliche Außenseiter* innen haben sich hier künstlerisch ausgelebt, konnten sie selbst sein. Was ihnen in der Gesellschaft verwehrt wurde, wurde ihnen im Film erlaubt. Akzeptiert wurden sie trotzdem nicht, genau wie ihre Filme. Als Rechtfertigung wird Pseudo-Objektivität genutzt, um sich mit einer persönlichen Reflexion über konstruierte Andersartigkeit nicht beschäftigen zu müssen. Filmrezeption dient als erweiterter Unterdrückungsmechanismus, der die Kritik an der Form des Filmes zum Anlass nimmt, gesellschaftliche Unkonventionalitäten niederzumachen. Der So-Bad-It’s- Good-Film ist nicht gut, weil er schlecht ist, er ist gut, weil er viele Potentiale ermöglicht, weil er die Kraft haben kann, unser Verständnis von Normalität neu zu definieren, weil er Repräsentation erschafft, die im Mainstream- und Kunstkino niemals möglich wäre. Er ist gut, weil er tatsächlich gut ist – ein So-Good-It’s- Good-Film eben.