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Interview

„Es gibt dieses andere Sachsen“

Parteilos und trotzdem an der Spitze eines Landkreises: Dirk Neubauer hat das in Mittelsachsen geschafft. Als einziger Nicht-CDU-Landrat in Sachsen setzt er sich für mehr politisches Engagement der Bürger ein. Im Interview spricht er über Vertrauensprobleme im Osten, Parteiengezänk und das Prinzip Hoffnung.


Dirk Neubauer

52, ist seit 2022 Landrat des Landkreises Mittelsachsen. Zuvor war er Bürgermeister der Kleinstadt Augustusburg bei Chemnitz und arbeitete als Journalist sowie als Berater für verschiedene Digitalunternehmen. Von 2017 bis 2021 war der gebürtige Hallenser Mitglied der SPD, nun ist er parteilos.

Herr Neubauer, es wird viel über die politischen Extreme in Sachsen gesprochen. Bevor wir dazu kommen: Auf welche positiven Entwicklungen in der Region würden Sie den Rest von Deutschland gern aufmerksam machen

Neubauer:
Wir haben hier wahnsinnig viele Unternehmen, die Weltmarktführer sind, hochinnovativ. Hier wird geforscht, auch an den Themen der Zeit. Es geht um Nachhaltigkeit, erneuerbare Energien, all das, was weltweit gerade die Leute umtreibt. Im Herbst starten wir ein neues Integrationsprojekt, mit dem wir Asylsuchende schneller in Sprache und Arbeit bringen wollen. Es gibt dieses andere Sachsen, das ist nicht so laut, das ist nicht so auffällig, aber es macht seinen Job.

Was muss getan werden, damit man dieses andere Sachsen noch lauter hört?

Neubauer:
Wir müssen mehr über diese herausragenden Leistungen reden und uns abgrenzen. Wir müssen mutig sein und klare Kante zeigen, der AfD öffentlich widersprechen. Und zwar mit aller Deutlichkeit, nicht mit Phrasen wie „die sind doof“, sondern schlicht und ergreifend sagen: Hier wird gerade gelogen, hier wird gerade gehetzt und das ist die eigentliche Position dazu.

Wie sehr sorgt es Sie, dass in Sonneberg die AfD nun auf Landkreis-Ebene die Führung innehat und damit über die gleichen Mittel verfügt, wie Sie als Landrat in Mittelsachsen?

Neubauer:
Es ist immer besorgniserregend, wenn Extremisten Instrumente in die Hand bekommen. Aber ob uns das gefällt oder nicht, es ist Ergebnis einer demokratischen Wahl. Wir können die AfD inhaltlich stellen. Auch ein Landrat hat einen Kreistag. Dort müssen die Parlamentsarbeit und der demokratische Diskurs verhindern, dass Dinge passieren, die man nicht möchte. Das ist das eine.

Und das andere?

Neubauer:
Das wollen wenig Leute hören, aber es ist auch Sache von uns Bürgern, etwas zu unternehmen. Wir leben mittlerweile in so einer Art Delegationsgesellschaft - ich höre häufig die Aufforderung: „Na Landrat, das klären Sie mal.“ Das ist nicht meine Aufgabe. Ich kann Sachen organisieren und befördern, aber ich bin nicht der Retter der Nation.

Was gehört denn dann zu der neuen „Bewegung der Vernunft“, von der Sie nach der Sonneberg-Wahl getwittert haben?

Neubauer:
Ich bin in Sorge, weil ich sehe, dass speziell hier im Osten das Vertrauen in etablierte Strukturen nicht mehr wirklich da ist. Ich treffe auch immer wieder Menschen, die sich parteilich nicht engagieren wollen. Die Überlegung ist deshalb, Leute zusammenzusuchen, die bereit sind, in der Sache zu arbeiten. Es soll nicht um rechte oder linke Stereotypen gehen.

Sind Sie daher so überzeugt vom Prinzip der Parteilosigkeit?

Neubauer:
Parteien-Bashing ist nicht mein Ansinnen. Aber ich habe zunehmend Schwierigkeiten mit dem Agieren der Parteien, weil sich das in so ein Gezänk verheddert hat. Und ich beobachte viele Menschen, die zwar noch am politischen Geschehen interessiert sind, die aber genau das abstößt. Sie sagen: „Ich will, dass sichtbar wird, wer hier für was steht, und das Gefühl haben, dass es um die Sache geht“. Letzteres ist vielen Leuten hier abhandengekommen und das ist ein großes Problem. Auf diesem tiefen Misstrauen gegenüber dem demokratischen System, das sich im Osten ausgebreitet hat, kochen ja die AfD und die Freien Sachsen ihre Suppe.

Wie wollen Sie das Vertrauen zurückgewinnen?

Neubauer:
Wir müssen uns von den ewigen Debatten, wer woran schuld ist, lösen. Anstehende Veränderungen müssen in konsistente Konzepte verpackt, erklärt und vor allem begründet werden. Ich glaube, damit wären die Leute, auch mit Blick auf Klimawandel und auf Energiewende, sehr viel bereiter, Einschnitte hinzunehmen und zum Beispiel ihren Konsum ein Stück zurückzufahren.

Wie hoffnungsvoll sind Sie, dass Sie zwischen den Extremen Sachsens, dem Rechtsextremismus in Ostsachsen und dem Linksextremismus in Leipzig, noch eine Mitte – vielleicht im Landkreis Mittelsachsen – mobilisieren können?

Neubauer:
Ich bin kein Verfechter des Prinzips Hoffnung, das halte ich für kein stabiles Modell, um die Zukunft zu gestalten. Wir müssen den Leuten ja gerade sagen, dass es nicht ausreicht, zu hoffen, dass irgendwer es gut macht. Wir müssen erreichen, dass die Leute verstehen, dass sie Teil der Lösung sind – oder Teil des Problems.

Dann anders: Sind Sie zuversichtlich, dass Sie die Mitte in Sachsen davon überzeugen können, Teil der Lösung zu sein?

Neubauer:
Ja, daran glaube ich fest.