×
Entwurzeln
Ich hatte Mitleid mit dir, für ein paar Sekunden.
Ich sah dich, deinen frischen Dünger, deine grünen Zweigelchen,
deine Blättchen - deine Hoffnung, den Winter zu überleben - deine Mitpräsenz an all diesen Tage…
Dann war da eine von den Unglücklichen.
Sie kletterte mit ihren sechs winzigen Beinen, ihren verfluchten Flügeln, der Komplexität ihres zarten schwarzen Körpers im leichten Summen, in ihrer dreckigen Anwesenheit,
die sich auf meine Lampe, auf den Bildschirm meines Laptops, auf mein volles Glas stützte
(Flügelchen, Leiche plötzlich in dem einzigen Glas Saft, das mir in der Woche zusteht) -
auf meine Lippen, wenn ich schlafe. In diesem Moment musste ich mich von dir entfernen;
den Blick vom Abfluss abwenden, von den tausend und einen Unglücklichen,
die über ihrer feuchten Wiege schwebten - die festglaubten, dass das fluoreszierende Licht dieselbe Sonne war,
die wiederkam, um sie mit Energie zu erfüllen und ihnen neue Nachkommen zu schenken.
Hier warst du immer das Opfer, mein Basilikum, der Wirt eines außerirdischen Krebses,
der, obwohl er dich nicht von innen fraß, sich wie ein Tumor an dich geheftet hatte, der beängstigend
im Gesicht wächst und mich abstößt, mir Übelkeit und Wut bereitet, mich zur Mutter macht, die ihr Kind
heimlich hasst und lernt, es zu tolerieren.
Ich drehte den Kopf wieder zum Fensterbrett:
Der Baum gegenüber widerstandsfähig;
was ihn so schön machte, waren seine Kämpfe gegen die immer aggressiveren,
verrückteren Herbststürme, die Zeichen seiner unzähligen Winter, seine Frühlingsblitze
(kleine Blüten zum Malen und Staunen), seine frische Luft bei zweiunddreißig Grad tagsüber
und achtzehn Grad nachts. Konntest du nicht dem gleichen Beispiel folgen, du als Schülerin
von diesem Fensterbrett gegenüber seinem Stamm, die ich plötzlich berührte und prüfte,
ob ihre Geradheit angemessen war?
Das Fensterbrett war so klein und geneigt, dass die Option,
dich draußen am Leben zu halten, sodass deine Erde schneller trocknete und die Unglücklichen uns nie wieder näherkamen,
unmöglich war: höchstwahrscheinlich würdest du plötzlich fallen, auf dem Steinboden des Innenhofs zerschmettern oder,
schlimmer noch, anstatt der Plage, die du ertragen musstest, würde ein Vogel kommen und dich fressen.
Da kehrte ich zu dir zurück. Nachdem ich deinen erdigen Duft eingeatmet hatte,
beschloss ich, den Rat meiner Mutter zu befolgen.
Meine Finger berührten dein erstes Blatt und, ohne dich weiter zu analysieren,
rissen sie es ab. Letzteres war Teil einer automatischen Wiederholung,
während ich die Unglücklichen die Säule erklimmen sah, die ich entblößte.
Dann flogen sie auseinander, die Verfluchten, und an diese und jene erinnere ich mich,
wie ich sie mit den Augen verfolgte, sie unter dem fluoreszierenden Licht, gegen die weiße Keramikwand
in die Enge trieb, dann den menschlichen Hass, seine Schnelligkeit, beschwor, sie zerdrückte,
winzige Blutspritzer, flüchtige schwarze Spuren an meinem Finger, und Wasserstrahl,
und ich riss weiter, ohne dich zu erkennen, Basilikum, noch deine grünen Hände im Abfluss.
Dein Krebs, mobil und winzig: wer hätte ihn in diesen auffälligen kleinen Tumoren gesehen,
die jetzt eine Zahl, ein verwundbares Volk im Krieg offenbarten, eines, das unter der Hand des Schicksals nach Angst stinkt?
Ich warf einen Blick auf deinen Dünger und das, was noch zu zersetzen war:
die Zwiebel- und Knoblauchschalen blieben erkennbar, aber die Brotkrümel sahen nicht mehr wie Brot aus,
und die Eierschale war bereits Teil der Erde. Ich sah die Mühe ein, die ich in dein Überleben gesteckt hatte,
und den Grund, warum sie gekommen waren.
Ich drehte den Hahn auf, heißes kochendes Wasser füllte den Plastiktopf.
Die unglücklichen Gefangenen, ihre verzweifelten Beinchen, der verschwendete Dünger,
und alles andere floss in die Rohrleitung hinein. Natürlich gab es Überlebende.
Ich tötete sie, nicht alle. Ich presste sie gegen die weiße Keramik oder zerdrückte sie zwischen meinen Handflächen.
Oder rief sie fälschlicherweise dazu auf, ihr Volk wieder aufzubauen,
von der anscheinend trockenen und stillen Basis dieses einzigen Stiels hinauf,
wo unzählbaren Geburten bezeugt wurden.
Die durchsichtige Lava vernichtete alle und trieb die sie in die Rohrleitung.
Du hattest immer weniger Blätter. Da tauchte die Kindheitsgrausamkeit herauf,
eine Erinnerung daran, als ich einen Ameisenhaufen aus purem Vergnügen am Auslöschen,
an der Verzweiflung einer Spezies, überflutete. Die Ameisen trugen Körnchen (die Larven),
ihre Königin, andere Ameisen hin und her. Der Wolf in diesem Menschen materialisierte sich wieder,
erregend, angesichts des Todes einer Nation.
Ein keimendes Blättchen blieb übrig.
Die anderen wurden sorgfältig gewaschen,
mit Ekel auf Spuren der Unglücklichen untersucht und gnadenlos in eine Tüte gesteckt.
Ab in den Gefrierschrank. Ich sah dich wieder an, und natürlich wusste ich, wozu ich dich gekauft hatte.
Natürlich wusste ich, dass ich dich irgendwann so brutal entblättern würde,
dass du schließlich so bleich zurückbleiben würdest, eine pilzartige Säule im Devon,
auf ausgestorbenem und grauem Boden; dass deine Geschichte zyklisch wäre, dass du mich begleiten würdest,
Stab, üppiger Baum, auf dem Schreibtisch, auf dem Fensterbrett, in einem Regal, in dieser,
einer anderen Wohnung, einer anderen Stadt, in meinem Alter - und ich sah dich wieder aus Versehen
Vielleicht reichte diese Bekämpfung aus, vielleicht müsste ich nie wieder Basilikum kaufen,
wenn du an meiner Seite bliebest.
Ich rannte wieder auf das Fensterbrett, zur Plattform, zur letzten Hoffnung… vergebens.
Was sonst tun, wenn du keine Lösung hattest, Basilikum. Nur eine kleine Tüte nehmen und den
schlimmsten Teil beginnen. Denn die Tüte war viel zu klein. Wie sollte ich dich mit Erde und
allem hineinbekommen? Denn ich würde deine Erde und damit den Wunsch wegwerfen, eine andere Pflanze im
Zimmer zu haben: die Unglücklichen würden immer wiederkommen, um die Feuchtigkeit zu genießen.
Was sonst tun, wenn du am Ende im Müll landen würdest? Warum dich nicht von Anfang an wie Müll behandeln,
wie den Dünger, der du selbst werden würdest? Ich versuchte, weder deinen Stiel, oder den Saft,
den er absonderte, noch deine sanfte Wärme mit den Händen zu fühlen.
Dein Jammern der Agonie und diesen braunen Beweis des Verbrechens,
die in meinen Händen lagen, versuchte ich auch, zu ignorieren.
Ich drehte den gesamten Topf um und warf dich und deine Erde in die Tüte hinein.
Ich verschloss sie; zerdrückte sie; steckte sie in den schwarzen Plastiksack.
Er öffnete dir die Tore zur stinkenden Hölle, zur neuen Landschaft kleiner Tüten mit Eierschalen,
fettigen Lappen, verrottendem Fleisch. Nach ein paar Minuten ging ich raus und warf den Sack in die Tonne auf der Straße.
Zurück in der Wohnung nutzte ich die Gelegenheit,
um ein paar verwirrte und bettelnde Unglückliche zu töten.
Ich öffnete das Fenster ein wenig, in der Hoffnung, dass die anderen begreifen würden,
dass sie vertrieben worden waren und fliehen mussten, oder ich würde sie zerquetschen.
Ich schloss die Zimmertür und schmiss mich aufs Bett.
Ich roch an meinen Händen angesichts deines Todesgestanks: Verbrechen, Verlust, Stille.
Ich lächelte, schloss die Augen. So rechtfertigte ich meinen zweiten Genozid.
Alexandra Ananas