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Kultur

„Und dann wurden wir von den Luxemburgern im Stich gelassen”

Bereits mit 15 begann die Künstlerin C’est Karma ihre Musikkarriere auf den Straßen Luxemburgs. Ihre Musik bezeichnet sie als politisch und aktivistisch. Ein Gespräch über ihr Heimatland.


la perspective: Fast 100.000 Portugiesinnen und Portugiesen leben in Luxemburg. Eine davon ist deine Mutter. Was bedeutet Luxemburg für sie?

Karma Catena:
Meine Mutter ist mit sieben Monaten nach Luxemburg gekommen. Mit ihren Eltern und Geschwistern. Sie sind aus der Diktatur geflüchtet und mein Opa hat hier Arbeit gefunden, deswegen war Luxemburg für sie eine Rettung. In Portugal wurden sie politisch verfolgt und haben in Armut gelebt. Allerdings sind sie auch hier immer eine arme Familie geblieben. Luxemburg hatte damals wenig Wertschätzung für Gastarbeiter – und hat es heute immer noch. Darüber rede ich häufig mit meiner Mutter.

Fühlt sie sich als Luxemburgerin?

Ja, wenn ich jetzt mit meiner Mutter rede, fühlt sie sich mehr luxemburgisch als portugiesisch.

Wann hat deine Mutter einen luxemburgischen Pass bekommen?

Erst als 45-Jährige.

Also durfte sie vorher auch nicht wählen?

Richtig.

Wie war das für sie?

Schlimm. Mit 45 Jahren durfte sie in dem Land, in dem sie aufgewachsen ist, zum ersten Mal wählen.

Hat sie sich ausgeschlossen gefühlt?

Ja. Nicht nur vom System, sondern auch von den Leuten. Es gab 2015 ein Referendum. Da wurden drei Fragen gestellt. Senkung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre, Einführung des Wahlrechts für Ausländer, die seit zehn Jahren hier wohnen, und eine Begrenzung für Regierungsmitglieder auf maximal zehn Jahre. Mit 70 bis 80 Prozent haben die Luxemburger dreimal Nein gestimmt. Obwohl 50 Prozent der Bevölkerung systematisch von Wahlen ausgeschlossen werden. Und das Ergebnis kam zustande, weil genau diese Leute ausgeschlossen sind.

Vita

Karma Catena, 20 Jahre alt, aufgewachsen in Luxemburg in einer portugiesischstämmigen Familie, begann ihre Musikkarriere mit 15 auf den Straßen Luxemburgs. 2018 veröffentlichte sie als C’est Karma ihren ersten Song und trat noch im selben Jahr in der Rockhal, der größten Konzertvenue Luxemburgs, auf. Ihre musikalischen Vorbilder sind Künstlerinnen wie Charli XCX, Björk und SOPHIE. In ihrer Musik bringt sie auch politische und soziale Standpunkte zum Ausdruck.


Ihre Musikkarriere begann C‘est Karma schon mit 15 Jahren. Foto: Shade Cumini.

Hältst du das System für kaputt?

Voll. Ich durfte noch nicht wählen gehen, obwohl ich schon in meiner Jugend politisch interessiert war. Ich gehöre zu einer Generation, die die urgency der Situation, in der wir uns politisch und klimatisch befinden, erkannt hat. Und das war immer Thema unter meinen Freunden. Deswegen haben wir erwartet, mit 16 Jahren wählen zu dürfen – und dann wurden wir von den Luxemburgern im Stich gelassen. Viele in meinem Umfeld waren sehr enttäuscht.

Fühlst du dich nicht als Luxemburgerin?

Im Gegensatz zu meiner Mutter lustigerweise nicht. Ich fühle mich mehr portugiesisch als luxemburgisch.

Wieso?

Weil ich mehr mit der portugiesischen Kultur verbinde. Obwohl ich nie dort gelebt habe, fühle ich mich in Portugal wohler als in Luxemburg. Ich habe wenig Kontaktpunkte mit der luxemburgischen Kultur. In meinem Leben war das kaum präsent. Meine Mutter erzählt oft, dass sie als Kind diskriminiert wurde – aufgrund ihrer Herkunft. Ich glaube, das sind Erfahrungen, die viele Kinder mit portugiesischem Background heute noch machen. In der Schule hat man weniger Chancen. Die Vorurteile sind noch immer groß und die Wertschätzung gegenüber der portugiesischen Community zu klein.

Hast du auch Diskriminierung erlebt?

Bei mir hieß es immer: Du siehst ja gar nicht portugiesisch aus. Ich habe es also nicht so direkt erlebt, weil ich mit Luxemburgisch zuhause groß geworden bin – und man mir den portugiesischen Familienhintergrund weder ansieht noch anhört. Ich glaube, dass Kinder, die zuhause nur portugiesisch reden, es deutlich schwieriger haben.

Du assoziierst dich stärker mit Portugal als mit Luxemburg – willst du dich damit gezielt abgrenzen, weil die Diskriminierung von den Luxemburgern ausgeht?

Vielleicht, unterbewusst spielt das bestimmt eine Rolle. Es gibt für die allermeisten luxemburgischen Familien, in denen beide Eltern und Großeltern hier aufgewachsen sind, viele Privilegien, die Menschen mit Migrationshintergrund nicht haben. Und auch ich weiß – obwohl ich hier aufgewachsen bin –, dass meine Familie unter den Leuten, die schon immer hier gelebt haben, gelitten hat. Deshalb habe ich das Bedürfnis, mich abzugrenzen.

Welche Privilegien meinst du?

Vor allem finanzielle, die auf alles andere ausstrahlen. In Luxemburg konnten sich immer viele ein Haus leisten. Meine Eltern besitzen kein Haus. Also werde ich kein Haus erben, während viele, deren Eltern und Großeltern hier aufgewachsen sind, ein Haus erben werden. Finanziell bin ich trotzdem nicht schlecht dran, aber es gibt hier immer diese Erbgeschichte. Wenn die Großeltern Geld hatten, wird die Familie immer reicher. Wir hingegen mussten alles aufgeben. Und das spürt man noch jetzt.

Umgibst du dich deswegen auch mehr mit Leuten, die einen portugiesischen Hintergrund haben?

Nein, obwohl es diese Communitys gibt. Wenn ich sage, dass ich mich stärker als Portugiesin statt als Luxemburgerin fühle, meine ich vor allem die warmherzige Familienkultur in Portugal. Die habe ich erlebt und die liebe ich. Luxemburg hat eine viel kältere Gesellschaft und Kultur.

Bist du oft in Portugal?

Einmal im Jahr. Dann besuche ich meinen Opa und meine Tanten. Aber ich bin mir auch bewusst, dass ich Portugal idealisiere. Es gibt dort Realitäten, die ich ausblenden kann, weil ich nicht darauf angewiesen bin. Beispielsweise gibt es dort große Homo- und Transphobieprobleme. Da ist Luxemburg weiter, obwohl diese Probleme auch hier noch existieren.

Mit 15 Jahren hast du begonnen, in die Stadt, nach Luxemburg, zu fahren. Wie hast du die Menschen dort wahrgenommen?

Unter der Woche, mittags, sind überall Banker, die sich nicht für mich interessiert haben. Damals habe ich Luxemburg als sehr geschäftige Stadt erlebt, was mir vorher nie aufgefallen war. Die Armut ist kaum zu sehen.

Was denkst du? Wieso gibt es in Luxemburg, einem der reichsten Länder Europas, noch immer so viel Armut?

Ich glaube, dass es hier in Luxemburg eine gewisse Verdrängungskultur gibt. Wir haben ein sehr gutes Sozialsystem und genau deswegen gibt es politisch die Tendenz, zu ignorieren, dass es trotzdem Armut gibt.

Gibt es weitere Beispiele für diese Verdrängungskultur?

Ein ganz banales Beispiel: Wir haben einen homosexuellen Premierminister und schließen deshalb die Möglichkeit aus, dass es Homophobie in Luxemburg geben kann. Wir sprechen sehr wenig darüber. Und das lässt sich auf viele Bereiche hier übertragen. Unangenehme Debatten werden hier vermieden. Obwohl es so viele Themen gibt, die wir diskutieren müssten. Leute mit einem nicht-luxemburgischen Namen werden diskriminiert, struktureller Rassismus existiert noch immer.

Gibt es auch radikale Strömungen in Luxemburg?

Weniger als in Deutschland. Von extremistischen Gruppierungen habe ich bisher wenig mitbekommen. Aber den strukturellen Rassismus merkt man jeden Tag. Auch in Gesprächen.

Wie gehst du damit um?

Meistens sind es ältere, weiße Männer. Früher habe ich den Dialog gesucht, aber ich musste mir irgendwann eingestehen, dass das sinnlos ist, da ich als junge Frau ohnehin wenig glaubwürdig für die alten Männer bin. Mich hat es zu viel Energie gekostet.

Erlebst du solchen Sexismus auch in der luxemburgischen Kulturszene?

Ja, Kommunikation ist da Dauerthema. Einfach die Art und Weise, wie Industriemänner – es sind meistens Männer (lacht) – mit mir reden. Wenn ich versuche, mich gegen etwas zu wehren, werde ich in eine niedrigere Position gebracht, selten auf Augenhöhe angesprochen. Und dann gibt es noch das ewige Thema der Wahrnehmung. Wie oft habe ich schon gehört: ‚Ah, du bist Sängerin‘. Und dann muss ich immer sagen: ‚Ich singe, aber ich bin primär Künstlerin‘. Das passiert Männern nie, glaube ich. Auch wenn ich erzähle, dass ich im Hintergrund organisiere oder über Geld verhandle, kommt von Männern oft die Reaktion: ‚Wow und das bekommst du hin?‘.

Geht sowas auch von anderen Künstlern aus? Gibt es in der luxemburgischen Kulturszene eine Ellenbogenmentalität?

In Luxemburg tatsächlich kaum. Die Szene ist klein. Meine Erfahrung ist, dass wir uns eher anfreunden und uns gegenseitig pushen wollen. Verdrängung habe ich kaum erlebt. Aber es gibt einfach zu wenige Frauen, die Kunst machen.