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Wirtschaft

Noch immer Ärger im Paradies?

Ist Luxemburg noch die berüchtigte Steueroase? Seit den großen Finanzskandalen um LuxLeaks und OpenLux hat sich zumindest gesetzlich viel getan. Die Regierung betont, dass alle EU-Steuerrichtlinien eingehalten werden. Doch die Realität sieht anders aus.


Die Altstadt von Luxemburg Stadt gleicht dem Set einer Disney-Verfilmung. Nur ein paar hundert Meter Luftlinie vom bunten Treiben der malerischen Gassen entfernt thront aber nicht etwa ein pompöses Schloss, sondern vielmehr ein Dutzend Paläste aus Glas und Stahl. Das Europaviertel auf dem Kirchberg Plateau verkörpert das, wofür Luxemburg in aller Welt bekannt ist. Es ist ein Ort europäischer Macht, mit Bankenviertel und Gerichtshof.

Zu diesem Image gehören aber auch die Skandale der vergangenen Jahre, allen voran die Enthüllungsskandale LuxLeaks und OpenLux. Der ewige Ruf einer Steueroase missfällt der Regierung, sie will sich endlich lossagen von den alten Vorurteilen und betont die eigene Transparenz. Für den Imagewandel wurden auch bereits einige Gesetzesänderungen umgesetzt, aber bei Steuerexpertinnen und Steuerexperten hält sich der Verdacht, dass Luxemburg weiterhin eine Steueroase ist.

Dabei ist es noch keine zehn Jahre her, dass ein internationales Journalistenteam mit der Enthüllungsgeschichte LuxLeaks 2014 unzählige Steuervergünstigungen aufdeckte. 2021 folgte mit OpenLux eine zweite Investigativrecherche. Die Veröffentlichungen fügten dem Ansehen Luxemburgs Schaden zu. Bei Luxleaks wurden 28.000 Dokumente geleakt. Der Regierung wurde vorgeworfen, mehr als 1.000 Unternehmen dabei geholfen zu haben, zwischen 2002 und 2010 so wenig Steuern wie möglich zu zahlen. OpenLux hingegen entstand nicht aus geheimen Dokumenten, die den Medien zugespielt wurden, sondern aus OnlineDaten, die entschlüsselt wurden: Über drei Millionen Dokumente, 140.000 Betroffene. Drei Viertel der Unternehmen des CAC 40, des Leitindex der Pariser Börse, sind in Luxemburg vertreten und mutmaßlich betreiben nicht wenige von ihnen Steuervermeidung oder -optimierung. Auch Geld aus Drogengeschäften, mafiösen Strukturen oder Korruptionsdeals landet in Luxemburg.

Diese Vorwürfe sind den europäischen Institutionen bekannt, das Großherzogtum behauptet hingegen, dass es die europäischen Gesetze in Bezug auf Steuern und Transparenz einhält und derart fragwürdige Praktiken der Vergangenheit angehören. Das sagt auch eine Pressesprecherin des Finanzministeriums in Luxemburg. Ihr Arbeitsplatz sieht im Gegensatz zu anderen Teilen der Luxemburger Altstadt nicht aus wie ein Disney-Schloss. Zu klein ist das fast schon unscheinbare Gebäude, zu unspektakulär die Farben: ein verwaschenes Rosé, beige-graue Stufen und rote Blumenkästen. Neben der Glastür, die durch geometrisch geformte Metallstäbe geschützt ist, hängt ein Schild mit der Aufschrift „Ministère des Finances”. Es ist schwer, sich beim Anblick dieses vollkommen gewöhnlichen Gebäudes vorzustellen, dass hier über die Finanzpolitik eines der reichsten Länder der Welt entschieden wird.

Mehr als nur Steuervorteile?

Der Wohlstand Luxemburgs liegt laut der Pressesprecherin des Finanzministeriums vor allem an der Mehrsprachigkeit des Landes. Neben den Amtssprachen Französisch, Deutsch und Luxemburgisch werden auch Englisch und Portugiesisch von vielen Teilen der Bevölkerung gesprochen. Damit widerspricht sie auch der These, dass viele Unternehmen ihren Sitz in Luxemburg wegen der angeblich niedrigen Steuern haben. Luxemburg sei ein attraktives Land, weil es viele europäische Behörden gibt, und deshalb ließen sich dort auch viele Banken nieder. Laut der Pressestelle sind es heute insgesamt 123 Banken, die in Luxemburg einen Sitz haben.

Dass es neben Faktoren wie der Mehrsprachigkeit und der Präsenz europäischer Behörden weiterhin steuerliche Vorteile sind, die den Standort Luxemburg für viele Unternehmen so attraktiv machen, davon ist Christoph Trautvetter vom Netzwerk Steuergerechtigkeit überzeugt. Und das, obwohl sich seit dem Finanzskandal LuxLeaks einiges in der luxemburgischen Finanzpolitik getan hat. Seit 2015 gilt ein europaweites Gesetz, das den Informationsaustausch über Besteuerungen zwischen den EU-Staaten regelt. Durch gegenseitige Kontrolle soll so mehr Transparenz entstehen. Der Öffentlichkeit werden diese Daten jedoch weiterhin vorenthalten. Transparenz sieht anders aus. Und die EU arbeitet bereits an weiteren Maßnahmen. Um Missbrauch von Briefkastenfirmen für Steuerzwecke zu verringern, hat die Kommission bereits im Dezember 2021 eine Initiative gestartet. Nehmen die Mitgliedstaaten diese an, tritt sie 2024 in Kraft.

Juristisch und moralisch fragwürdige Steuer-Absprachen, die sogenannten Sweetheart-Deals, die den Kern des LuxLeaks-Skandals ausmachten, wurden in Luxemburg offiziell abgeschafft. Diese Sweetheart-Deals versprachen den Unternehmen Vorteile durch wohlwollende Steuervorbescheide, wodurch es zu nationalen und internationalen Wettbewerbsverzerrungen kommen konnte.

Aber gerade hier wird deutlich, dass auf dem Weg zu gerechten Steuerverhältnissen noch viel geschehen muss. Denn das Netzwerk Tax Network Justice ist sich sicher: Die Sweetheart-Deals gibt es noch, nur in anderer Form. Gemeinsam mit einem Whistleblower hat das Netzwerk aufgedeckt, dass diese Vereinbarungen zwischen Luxemburg und den Unternehmen in Form von mündlichen Absprachen weiterhin existieren. Der einzige, aber gravierende Unterschied: Sie werden nicht mehr verschriftlicht, sodass man sie weder nachvollziehen noch nachweisen kann. Auch Trautvetter kann sich gut vorstellen, dass Luxemburg so ein Schlupfloch gefunden hat.

Luxemburg bleibt Steueroase

Obwohl es in Luxemburg generell relativ hohe Steuern gibt, ist Trautvetter weiterhin überzeugt: „Luxemburg ist eine absolute Steueroase.” Denn trotz verhältnismäßig hoher Unternehmenssteuer von 27 Prozent sei der effektive Steuersatz, den Unternehmen abführen würden, sehr gering (siehe Abb. 1). Gründe dafür seien nach wie vor bestehende Verständigungsverfahren und die Fonds-Industrie. Letztere sei allerdings ein europaweites Problem. Denn im Fall von Investmentfonds fallen offiziell keine Steuern an, da diese von den Investoren über die Einkommenssteuer abgedeckt seien.

Ein weiteres eindeutiges Zeichen für eine Steueroase sei laut Trautvetter, dass durch ein IWF-Gutachten aufgeschlüsselt wurde, dass in Luxemburg viele Gewinne landen, die mit dem Land eigentlich nichts zu tun haben. „Diese sogenannten Phantom-Gewinne sind eines der ausschlaggebendsten Zeichen für Steueroasen”, verdeutlicht er. Ein weiterer Beleg dafür seien die unzähligen Briefkastenfirmen, die nach wie vor in Luxemburg existieren. Trautvetter vermutet, dass Luxemburg hier, trotz der wahrscheinlich 2024 in Kraft tretenden Gegenmaßnahmen der EU-Kommission, auch weiter neue Schlupflöcher finden wird.

Abb. 1: Briefkastenfirmen | Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung

Der Fall Amazon

Von diesen Schlupflöchern könnten dann zum Beispiel auch Unternehmen wie Amazon profitieren. Die europäische Unternehmenszentrale des Online-Giganten hat ihren Hauptsitz in Luxemburg. Der US-amerikanische Konzern weiß noch immer genau, wie man trotz Milliarden-Einnahmen keine Steuern zahlen muss. Einem Bericht des Nachrichtendienstes Bloomberg zufolge hat der weltgrößte Online-Händler über die Amazon EU Sarl 2021 51,3 Milliarden Euro umgesetzt.

Dabei wurde ein Verlust von knapp 1,2 Milliarden Euro angegeben, der dazu führt, dass keine Steuern fällig wurden. Für Trautvetter ist das Beispiel Amazon ein eindeutiges Indiz, dass in Luxemburg nach wie vor Schlupflöcher gesucht und gefunden werden. Er sieht das Problem auch bei den Europäischen Gerichten: „Die Gerichte ignorieren die wirtschaftliche Realität und können sich nicht durchringen, sowas wie das Steuermodell von Amazon anzuprangern. Es wird immer gesagt, dass es noch nicht eindeutig bewiesen ist, dass das steuerlich betrieben war, obwohl es eindeutiger nicht geht.”

Abb. 2: Transferpreissystem | Eigene Darstellung in Anlehnung an Tax Justice Network

Es gäbe Lösungen

Um die Steueroase Luxemburg auszutrocknen und fairer zu gestalten, gibt es laut Trautvetter verschiedene Wege. Eine Möglichkeit wäre es, eine Steuer von mindestens 25 Prozent einzuführen. Eine andere wäre das Ende der Transferpreissysteme (siehe Abb. 2). Eine Alternative dafür wäre laut Trautvetter eine Gesamtkonzernsteuer. Dann würden Gewinne nicht mehr anhand der Transferpreise, sondern anhand einer Formel verteilt werden (siehe Abb. 3).

Prinzipiell geht es Trautvetter und dem Netzwerk Steuergerechtigkeit aber nicht allein um Steuermodelle und Schlupflöcher, sondern auch um die damit untergrabene Gerechtigkeit im Finanzsystem. Global Player wie Amazon kommen in Luxemburg zu leicht mit zu vielen Spartricks durch. Sie werden immer reicher, ohne die vorgesehenen Abgaben an die Gesellschaft zurückzuzahlen. Es könnte etwas dagegen getan werden, aber aktuell scheint es entweder an Durchsetzungsvermögen oder am Willen zu fehlen, wirkliche Änderungen voranzubringen. Wenn Luxemburg seinem Disney-Märchen-Image gerecht werden will, dann muss noch einiges passieren. Sonst könnte bald der nächste Skandal à la LuxLeaks oder OpenLux anstehen. Und dann muss das Großherzogtum sich und sein Image mal wieder neu erfinden.

Abb. 3: Gesamtkonzernsteuer | Eigene Darstellung in Anlehnung an Martin Müller / www.attac.de