×

Portrait

Der Weltenverbinder

Denis Scuto ist gebürtiger Escher, Historiker, Fahrradfahrer und Springsteen-Fan. Er war auch schon Profifußballer und geliebter Enkel. Seine Mission: All diese Welten verknüpfen und im Privaten und Beruflichen Sinn stiften.


Esch als Europäische Kulturhauptstadt 2022 ist untrennbar mit der Geschichte der Stahlindustrie verbunden. Und diese ist auch die von Denis Scuto, dem stellvertretenden Leiter des „C²DH“ Das ist das „Luxembourg Center for Contemporary and Digital History“. Der Geschichts-Experte kommt ein paar Minuten zu spät zum Gespräch, lächelnd, in Sneakern und einem Elba-Shirt aus dem letzten Italienurlaub. In seinem Kopf scheint noch der vorangegangene Termin zu rumoren.

Der 57-Jährige ist studierter Historiker. Sein Arbeitgeber, das 2017 eröffnete Institut für Public History an der Luxemburger Universität, verbindet interdisziplinär Architektur, Geschichte und digitalisierte Forschung. Immer wieder spiegelt sich auch Scutos eigene Biografie in den Projekten des Instituts wieder. Als Kind einer Luxemburgerin und eines süditalienischen Einwanderers und Gastarbeiters in der Stahlindustrie verkörpert bereits Scutos Existenz die großen Ströme der südluxemburgischen Kultur.

Als Kind interessierte sich Scuto für griechische Sagen - Vergangenes, das die Welt zu erklären versucht. Heute liegt sein Forschungsfokus auf luxemburgischen Arbeiterthemen und seit Kurzem auch auf Staatsangehörigkeiten und Migration - Vergangenem, das Scutos Herkunft zu erklären versucht. Für ihn und viele Luxemburger:innen sind diese Themen ein elementares Motiv, denn 49 Prozent der Luxemburger:innen haben keine luxemburgische Staatsbürgerschaft. Die portugiesischen und italienischen Communitys sind besonders am ehemaligen Industriestandort Esch zentraler Teil der städtischen Identität.

In einem 500-Seiten-Stadtführer hat das „C²DH“ die gesamte Architektur Eschs in Verbindung mit der Stadt- und Industriegeschichte umfassend zusammengetragen, zu jedem Gebäude gibt es ein Live-vor-Ort-Video, in dem Scuto frei referiert. Seit 2015 hat der Forscher neben seiner Lehrtätigkeit an der Universität eine Kolumne im Luxemburger ‚Tageblatt‘. Umberto Ecco hatte eine solche in einer italienischen Zeitung, das hat der Escher als Lebensziel übernommen und bereits eingelöst. “Ich habe das gelesen und gesagt: Mit 50 möchte ich eine Kolumne starten, und dann hab ich das gemacht”, resümiert er pragmatisch. Dazu kommt eine Chronik im öffentlich-rechtlichen Radio, bei der wöchentlich die Geschichte Eschs kleinteilig aufgeschlüsselt wird. Public History, also die niedrigschwellige Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse an verschiedenste Zielgruppen, ist Scutos Mission, dabei verarbeitet er auch immer seine eigene Geschichte.

Vorbilder

Der facettenreiche Historiker kann außerdem auf eine sechsjährige Karriere als Mittelfeldspieler in der Luxemburger Fußball-Nationalmannschaft zurückblicken. Als junger Lehrer an einem Gymnasium stand er parallel bei ‚Jeunesse Esch‘, seinem Heimatverein, unter Vertrag und war sogar bis 2016 Rekordspieler in der luxemburgischen Liga. Die Fußball hat sein Großvater, Italiener und selbst Fußballer, ihm früh mit auf den Weg gegeben. Scuto erzählt, wie die beiden schon früh alles rund um den Ballsport diskutiert haben: “Er hat mich im Fußball gelehrt und war dankbar, sein Wissen weitergeben zu können.” Heute ist Scutos aktive Fußballzeit lange passé, das Knie macht nicht mehr mit - aber tatkräftig ist er noch immer. Seine Freizeit verbringt der sportlich-legere Jeansträger heute mit Fahrradfahren, seit Neuestem auch mit Kolleg:innen, da bringt er Privates und Berufliches zusammen. Die von der Natur schleichend zurück eroberten Fabrikruinen und Minen liegen in hügeligem Terrain, sie eignen sich wunderbar für Mountainbiking und Ortsbegehungen. Offenherzig zeigt Scuto Videos und Fotos von sich beim Radeln und Aussichten auf Wälder und rotbraun gerostete Stahlkolosse. Das war die Tour von Vortag. Darauf angesprochen, strahlt eine Bürokollegin übers ganze Gesicht, der gemeinsame Ausflug sei großartig gewesen.

Leuchtende Augen bekommt der nüchterne Historiker selbst aber bei einem ganz anderen Thema: der musikalischen Liebe. Diese gilt an erster Stelle Bruce Springsteen. Wie er „den Boss“ kennengelernt hat, breitet Scuto freudig aus: In den 80ern, eine Radiosendung um zwei Uhr nachts im Auto, zuvor war er noch feiern. Springsteen gibt Zusatzinfos zu seinem Album „The River“ zum Besten: Er sei zur Musterung für die US Army einbestellt worden, sollte im Vietnamkrieg dienen. Springsteens Vater habe das folgendermaßen quittiert: Man schere ihm dort die zotteligen Haare und mache ihn zu einem richtigen Mann. Springsteen besteht die körperliche Prüfung nicht, kommt nach Hause und sein Vater bekennt denkbar knapp: “That’s good.” Schon als junger Mann ist Scuto linkspolitisch aktiv, die Anekdote gegen den Krieg ergreift ihn sofort. Er besorgt sich alles, was es von Springsteen gibt, bis heute bleibt er der Musik treu. Er lädt den Musiker sogar immer wieder nach Esch ein – bisher ohne Erfolg. Auf der Instituts-Website erscheint wöchentlich ein geschichtlicher Artikel zu Songtexten von Springsteen. Und im Mai 2023 fährt Scuto nach Rom. Dort wird er ein Konzert seines musikalischen Idols besuchen, ein Ticket hat er schon. Eine weitere perfekte Fusion im Leben von Denis Scuto: Besuch des Heimatlandes der Ahnen und ein Konzert des Bosses.