Text von
Laura Ozdoba
D
as Pendeln an sich macht Barbara Hamper nicht so viel aus. Sie fährt mit dem Zug, einem Regionalexpress, jeden Morgen um 06:49 Uhr. „Wenn ich irgendwie kann, vermeide ich die RB, weil die dauert wirklich ewig. Das macht keinen Spaß“, erklärt die 51-Jährige. Viele der Gesichter im Zug kennt sie mittlerweile gut, alles Pendler:innen, die täglich mitfahren. Das Frühstücksbrot hat sie in der Tasche dabei, manchmal isst sie es im Zug, manchmal aber auch erst später im Büro.
Wenn alles gut läuft, ist sie von Tür zu Tür gute 50 Minuten unterwegs. Damit zählt sie zu den 25 Prozent der Berufspendler, die nach Angaben des Statistischen Bundesamtes mehr als 30 Minuten für den Weg zur Arbeit benötigen. Eine Besonderheit ist allerdings, dass sie auf ihrem Weg zur Arbeit eine Ländergrenze überquert. Barbara Hamper ist eine sogenannte Grenzgängerin. Sie wohnt in Deutschland, im Trierer Stadtteil Zeven, und arbeitet in Luxemburg.
Seit 2014 ist sie in ihrem aktuellen Job in der SAP-Abteilung von Luxemburgs größtem Arbeitgeber, der CFL Group, angestellt. Ein Job wie dieser, der ihrem Qualifikationsniveau entspricht und ähnlich gut vergütet wird, ist in Deutschland schwer zu finden. Wieder in ihrem Heimatland zu arbeiten, kommt für Barbara Hamper daher nicht in Frage. Und doch hat sie dies in den letzten zwei Jahren getan. Eine Sonderregelung hat es Grenzgänger:innen wie ihr während der Pandemie erlaubt, durchgängig aus dem Homeoffice zu arbeiten. Das hat für Barbara Hamper und einen Großteil ihrer Kolleg:innen gut funktioniert. Ende Juni ist die Ausnahmeregelung nun jedoch ausgelaufen und Unzufriedenheit macht sich unter den Betroffenen breit. Eine Unzufriedenheit, die die Diskussion darüber beflügelt, wie ein angemessenes Maß an Heimarbeit aussieht.
Barbara Hamper hat 2004 mit dem Pendeln nach Luxemburg angefangen, nachdem ihr Mann den Wechsel bereits gewagt hatte. Foto: Hannah Bitzer
Viel zu wenig sei aktuell möglich, empören sich immer mehr Grenzpendler:innen und ihre Unterstützer:innen. Sie fordern die Möglichkeit, mehr Arbeit vom deutschen Wohnsitz aus verrichten zu können, ohne dass sich daraus steuerliche oder sozialversicherungsrechtliche Nachteile gegenüber luxemburgischen Kolleg:innen oder Pendler:innen aus anderen umliegenden Ländern ergeben. Das sei zeitgemäß, fair, ökologisch und wirtschaftlich sinnvoll.
Das Großherzogtum kann es sich dabei nicht leisten, diese Forderungen zu ignorieren. Immerhin machen Grenzgänger:innen fast die Hälfte der luxemburgischen Erwerbstätigen aus. Zu sehr ist das Land auf sie angewiesen, etwa um dem demografischen Wandel und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Doch um Homeoffice für Pendler:innen in größerem Maße zu realisieren, muss sich zunächst an den länderübergreifenden Besteuerungs-Regelungen etwas ändern. Ein erstes Sondierungsgespräch mit Deutschland hat bereits stattgefunden.
Im Kern dreht sich die Diskussion um das sogenannte Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) zwischen Deutschland und Luxemburg, welches 1960 in Kraft getreten ist. Sein Ziel ist die „Vermeidung der Doppelbesteuerung und Verhinderung der Steuerhinterziehung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen“.
Zentral ist dabei folgende Regelung: Arbeiten luxemburgische Arbeitnehmer:innen mehr als 19 Tage von Deutschland aus, müssen sie ihr Gehalt auch anteilig dort versteuern. Für Kritiker:innen, wie etwa den Bundestagsabgeordneten Patrick Schnieder (CDU), stellt dies eine anhaltende Benachteiligung von Grenzgänger:innen dar.
„Dies steht dem politischen Versprechen eines ‚grenzenlosen Europas‘ entgegen.“
Patrick Schnieder
Denn während sich an den Steuersätzen der in Luxemburg ansässigen Arbeitnehmer:innen bei verstärkter Heimarbeit nichts ändert, zahlen in Deutschland wohnende Erwerbstätige drauf. Ein Beispiel: Werden etwa 34.000 Euro Brutto-Jahresgehalt in Deutschland versteuert, bleiben in Steuerklasse eins netto knapp 23.000 Euro übrig. In Luxemburg sind es etwa 26.000 Euro.
Neben den steuerlichen Nachteilen ergeben sich für Grenzpendler:innen auch Hürden im Zusammenhang mit der Sozialversicherung. Wird der Schwellenwert von 25 Prozent Homeoffice überschritten, erfolgt nach europäischer Gesetzgebung ein Zugehörigkeitswechsel. Arbeitnehmer:innen gehören dann dem deutschen Sozialsystem an. Dies hat zum Beispiel Folgen für die Rente. Zahlen Grenzpendler:innen nur in Deutschland ein, entfallen Ansprüche auf eine luxemburgische Rente. Jene fällt im Schnitt allerdings deutlich höher aus. Im Jahr 2018 betrug die durchschnittliche Rente nach Angaben von Romain Schneider, Minister für soziale Sicherheit, in Luxemburg 3862,75 Euro. Die durchschnittliche Rente in Deutschland rangierte hingegen 2021 nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung zwischen 730 Euro für Frauen in den alten Bundesländern und 1300 Euro für Männer in den neuen Bundesländern.
Ein ähnliches Bild ergibt sich beim Kindergeld. Während der Betrag in Luxemburg bei 271,62 Euro je Kind liegt, zuzüglich altersabhängiger Zuschläge, liegt er in Deutschland beim ersten und zweiten Kind bei je 219 Euro, beim dritten dann bei 225 Euro.
Um wenigstens anteilig von den höheren luxemburgischen Rentenzahlungen profitieren zu können und die höheren Kindergeldbeiträge zu erhalten, ist Grenzpendler:innen daher daran gelegen, ihre Sozialabgaben in Luxemburg leisten zu können.
Gut für Klima, Work-Life-Balance und Luxemburg
Luxemburgs Nationaler Ausländerrat (CNE) fordert Berichten des Nachrichtenportals L´essentiel zufolge in einem Positionspapier an den Arbeitsminister Dan Kersch (LSAP), das bilaterale Steuerabkommen mit Deutschland, Belgien und Frankreich neu zu verhandeln, um Grenzgänger:innen aus diesen Ländern 56 Tage Homeoffice pro Jahr zu gewähren. Dies entspricht etwa 25 Prozent der Arbeitszeit.
„Zwei Tage Telearbeit pro Woche für alle, auch für Grenzgänger“, fordert derweil eine Petition im Großherzogtum. Beginn der Unterschriftenphase war am 13. Juni. 4.500 Unterschriften werden benötigt, damit sich das Parlament mit dem Anliegen befassen muss. Nach drei Tagen sind bereits über 11.000 eingegangen. Die Verfasserin Sabrina Litim argumentiert, dass mobiles Arbeiten dazu beigetragen habe, den Verkehr und „seine zerstörerischen ökologischen Auswirkungen zu begrenzen, Staus deutlich zu reduzieren und das Wohlbefinden der Mitarbeiter durch eine bessere Work-Life-Balance zu verbessern“.
Eine Studie von Öko-Institut e.V., die im Februar 2022 veröffentlicht wurde, belegt die positiven ökologischen Auswirkungen verstärkter Heimarbeit. „Unsere Bilanz zeigt, dass unabhängig von der Wahl des Verkehrsmittels und bereits ab einem Tag Homeoffice pro Woche die Treibhausgasbilanz sinken kann“, fasst Konstantin Kreye, Experte für Klimaschutz und Mobilität am Öko-Institut, zusammen.
„Auch nach der Pandemie kann daher eine Mischung aus Büropräsenz und mobilem Arbeiten aus Umweltgesichtspunkten vorteilhaft sein und selbst im konservativsten Szenario – mit 20 Prozent Homeoffice – rund eine Million Tonnen Treibhausgase einsparen. Das entspricht etwa den Emissionen von 370.000 Autos durchschnittlich in einem Jahr.“
Konstantin Kreye
Auch in Deutschland wurde eine Petition gestartet, in diesem Fall von der Deutsch-Luxemburgischen Wirtschaftsinitiative (DLWI). Ziel ist, „die Freigrenze von 19 auf 55 Arbeitstage für Grenzpendler zu erweitern. Darüber hinaus sollen diese 55 Arbeitstage nicht auf die sozialversicherungspflichtige Tätigkeit im Wohnsitzland angerechnet werden“. Die nötigen 50.000 Unterschriften konnte diese Petition allerdings nicht innerhalb der Frist bis Ende März erreichen.
Im Mai warnt der DLWI-Präsident Stefan Pelger in der Zeitung Trierischer Volksfreund davor, dass das höhere Gehalt und die höheren Sozialleistungen in Luxemburg allein nicht mehr ausreichen, um junge Menschen in Deutschland zu überzeugen, einen Job im Großherzogtum anzunehmen. Demnach spielen Faktoren wie die Pendel-Zeit, mangelnde Work-Life-Balance und eine fehlende Homeoffice-Regel seit der Corona-Pandemie eine deutlich größere Rolle. Die Beschäftigung mit zwei nationalen Finanzbehörden im Fall von zu viel Heimarbeit macht die Situation nicht einfacher. “Das Komplizierte sind die zwei Steuererklärungen”, stellt auch Barbara Hamper fest.
Die Grafik veranschaulicht die Pendlerströme in der luxemburgischen Grenzregion im Jahr 2019 basierend auf Daten einer Studie des Interregionalen Parlamentarierrates.
Angesichts der 10.000 freien Stellen im Land, eines Fachkräftemangels und des voranschreitenden demografischen Wandels kann es sich das Großherzogtum nicht leisten, unattraktiv für Arbeitskräfte aus dem Ausland zu werden. Grenzpendler:innen sind für Luxemburg viel zu wichtig, denn sie machen nach Angaben des Internationalen Parlamentarier:innenrates 45 Prozent der Erwerbstätigen aus, Tendenz steigend. Dabei pendelt jede zehnte Arbeitskraft in Luxemburg aus Deutschland. Die Forderungen nach einer Anpassung der Homeoffice-Regelungen muss das Land daher ernst nehmen.
„Homeoffice ist eines der Top-Themen, die wir auf der Arbeit diskutieren. Ich denke schon, dass sich die Situation ein bisschen verbessern wird. Durch die Unzufriedenheit steigt der Druck auf die Regierung.“
Grenzpendlerin Barbara Hamper
Ein erstes Sondierungsgespräch zwischen Deutschland und Luxemburg hat bereits stattgefunden. Wie es von Seiten des Bundesfinanzministeriums heißt, haben sich beide Länder „darauf verständigt, zeitnah unter anderem einen potentiellen Kodifizierungs- und Anpassungsbedarf der 19-Tage-Regelung zu erörtern“.
Die deutsche Seite plädiert allerdings dafür, die Frage, „ob der bisher geltende internationale Standard, wie die Besteuerungsrechte an Einkünften grenzüberschreitend tätiger Arbeitnehmender aufzuteilen sind, grundsätzlich anzupassen ist“, zunächst auf einer „breiteren internationalen Ebene“ zu diskutieren. Sowohl die EU als auch die OECD hätten bekundet, sich mit diesem Thema befassen zu wollen.
Wann und ob sich etwas an den bestehenden Regelungen ändert, steht also längst nicht fest. Das Bestreben, einen internationalen Standard herzustellen, scheint angesichts der vielen, unterschiedlichen bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen zwischen den einzelnen EU-Ländern allerdings sinnvoll.
An der Situation von Barbara Hamper und ihren Kolleg:innen ändert sich derweil allerdings nichts. „Unsere Firma erlaubt, wenn das steuerlich und sozialrechtlich geklärt ist, zwei Tage Homeoffice pro Woche. Aber aufgrund dieser ganzen Steuerregelungen und Sozialversicherungsregelungen kann man im Endeffekt nur einen Tag pro Woche machen“, erklärt Barbara Hamper.
Bis Ende des Jahres gilt noch eine Übergangsphase, in der etwas mehr Heimarbeit möglich ist, da sich die 19 Tage nun auf ein halbes Jahr statt einem ganzen verteilen. Auch die Corona-Sonderregelung zur Sozialversicherung wurde bis zum Jahreswechsel verlängert. Ab 2023 gelten dann wieder dieselben Regeln wie vor Corona, wenn sich bis dahin in der Politik nichts tut.