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Politik

Direct Message von der Ministerin

Ein Porträt über die luxemburgische Ministerin für Gleichstellung von Frauen und Männern und für Inneres Taina Bofferding


E s ist das erste Wochenende im Juli. Die Bar „Pitcher“ feiert in Esch-sur-Alzette ihr 30-jähriges Bestehen. Unter den zahlreichen Besucher:innen ist auch ein Stammgast: Taina Bofferding. Aktuelle Ministerin für Inneres und für Gleichstellung in Luxemburg und Kind der Stadt Esch. Jean-Claude Seiter, graue Haare, Bart, an jedem Finger einen Ring, steht seit vielen Jahren hinter dem Tresen des Pitcher und berichtet von der ausgelassenen Feier. „Ganz Esch, nein ganz Luxemburg war hier.“ Er lacht: „Die Taina auch. Die kommt seit Jahren immer wieder hierher. Das ist ganz normal. Hier kennt jeder jeden.“ Ihr Lieblingsgetränk ist Campari Orange.

Seit 30 Jahren Kultbar in Esch: Das Pitcher (Quelle: Hannah Bitzer)

Zum Treffen lädt Bofferding, 39, in ihr Ministerium für Gleichstellung von Frauen und Männern am Boulevard F.D. Roosevelt ein. An der schweren Eisentür wird man von einem schlurfenden Pförtner durch die altehrwürdige Eingangshalle geführt, bevor man zwei Mal links zum Flügel des Ministeriums für Gleichstellung abbiegt.

Das Haus teilt sich das Gebäude mit dem Kulturministerium. Im Gang vor ihrem Büro hängt ein Gemälde aus dem Jahr 2015. Der Titel: „The Deciders“. Zu sehen sind 25 Personen aus Wirtschaft und Politik, 23 Männer und zwei Frauen. Pressesprecher Sascha Dahm zeigt auf das Bild: „Hier sieht man, warum wir hier im Ministerium noch viel zu tun haben.“ Er lacht und bittet ins Büro der Ministerin.

Mit einem festen Händedruck und durchsichtiger Zahnspange begrüßt Ministerin Taina Bofferding zum Gespräch und bietet einen Platz in der Sofaecke ihres Büros an. Im Raum duftet es nach frischem Salbei und vor dem Sofa steht ein kleiner Tisch mit Schokolade und Wasser. Bofferdings Dackel Newton muss heute zuhause bleiben, die Ministerin muss später noch ins Parlament.

„Ich war sehr wütend, vor allem weil meine eigene Partei diese Entscheidung getroffen hatte mit der Begründung, dass ich noch zu jung sei und im richtigen Alter, um Kinder zu bekommen.“

Seit vier Jahren ist sie Ministerin des Inneren und Ministerin für Gleichstellung. Zuvor war sie Mitglied im Gemeinderat in Esch und ist seit 2013 Abgeordnete im Parlament. Dass Bofferding es bis ins Amt der Ministerin geschafft hat, war weder Zufall noch Glück. Im Gegenteil: Während ihrer Zeit im Gemeinderat in Esch wurde sie entgegen aller Erwartungen nicht in den Schöffenrat aufgenommen.

„Ich war sehr wütend, vor allem weil meine eigene Partei diese Entscheidung getroffen hatte mit der Begründung, dass ich noch zu jung sei und im richtigen Alter, um Kinder zu bekommen.“ Dass ihr das damals nicht direkt ins Gesicht gesagt wurde, empört sie noch heute und wurde gleichzeitig zu ihrer Motivation. „Ich dachte mir, jetzt zeig ich es ihnen erst recht. Ich habe diese negative Energie genutzt, um weiter meinen Weg zu gehen.“

Sexismus in der Politik

Kurze Zeit später wurde sie zur ersten weiblichen Ministerin des Inneren im zweiten Kabinett von Premierminister Xavier Bettel (DP) ernannt. Seit jeher liegen ihr die Themen Gleichstellung zwischen Mann und Frau am Herzen. Ihre Hände gestikulieren schneller, wenn sie darüber spricht. Sie habe das Gefühl, dass sie sich als Frau in der Politik mehr beweisen müsse als ihre männlichen Kollegen. Wie sie damit umgeht? „Ich spreche relativ offen über fast alles. Darüber, dass ich unter Endometriose leide oder auch, dass ich manchmal eine Zahnspange im Parlament trage. Auch wenn einige meiner männlichen Kollegen darüber lachen mögen.“

Ihre Offenheit über so viele Themen entwaffnet viele Kritiker:innen. Als 2018 das Gerücht kursierte, dass sie Innenministerin werden sollte, zeigte sich die Gewerkschaft des Gemeindepersonals (FGFC) verwundert über das junge Alter der angehenden Ministerin. Im zweiten Anlauf drehten die Vertreter:innen das Argument um und betonten positiv, dass Bofferding ja aber ein „unverbrauchtes, junges, weibliches Gesicht“ sei. Die Formulierung sorgte in der Bevölkerung jedoch für Empörung. Dieser Rückhalt machte Bofferding Mut.

Die Entscheiderin?

Taina Bofferding bleibt meist ruhig, wenn sie über die Themen Gleichstellung und Sexismus in der Politik spricht. Aber man merkt, wenn ihr etwas gegen den Strich geht, wird ihre Stimme entschiedener und ihre Hände bewegen sich im Takt der Argumentation, als wolle sie mit der Kraft ihrer Hände bereits das Problem lösen. Aber tut sie das wirklich?

Es gibt einige kritische Stimmen, die das bezweifeln. Eine von ihnen ist die Journalistin Tessie Jakobs von der luxemburgischen Zeitung Woxx. Sie kritisiert, dass die Ministerin mehr über Sexismus in der Politik spreche, als sie aktiv dagegen tue. Bofferdings eingeführtes Programm „Actions positives“ mit dem Ziel, Betriebe gendergerechter zu gestalten, basiere beispielsweise auf rein freiwilliger Basis. Auf die Frage nach aktuellen, konkreten Projekten, um der strukturellen Benachteiligung von Frauen gerade im Zuge der Covid-19-Pandemie entgegenzuwirken, antwortet sie mit: „Das sind Fragen, die wir in nächster Zeit gemeinsam mit dem Familien- und Justizministerium und unseren Sozialpartnern angehen müssen.“

Ministerin Taina Bofferding kritisiert den anhaltenden Sexismus in der Politik (Quelle: Ministerium für Gleichstellung)

Steht diese Unverbindlichkeit im Widerspruch zu ihrem eigens formulierten Anspruch, die rechtlich verankerte Gleichstellung vom Papier in den Alltag der Leute zu integrieren? Während Familienministerin Corinne Cahen den Elternurlaub einführte und Bofferdings Vorgängerin Lydia Mutsch (LSAP) das Lohngleichheitsgesetz verabschiedete, scheinen Bofferdings Ideen wie das Observatoire à l’égalité und die Actions Positives eher ein Anfang als konkrete Maßnahmen zu sein. So sieht das zumindest Gewerkschaftsvertreterin Michelle Cloos von der Gewerkschaft OGBL und verweist in einem Artikel auf Island, wo die Unternehmen im Hinblick auf Lohngleichheit kontrolliert werden.

„Auf Instagram kann es auch mal passieren, dass die Ministerin höchstpersönlich auf eine Direct Message antwortet“

Man mag über ihre politische Durchsetzungskraft streiten, Bofferdings Motivation für den Job scheint aber klar. Geboren und aufgewachsen in Esch, kommt sie als Älteste von drei Kindern aus einem apolitischen Elternhaus. „Bei uns zuhause wurde nie über Politik geredet. Ich habe aber ganz bewusst den Weg in die Politik gewählt, weil ich es satthatte, dass alte Männer in grauen Anzügen über meine Zukunft entscheiden.“ Damit möchte sie auch als Vorbild für die jungen Luxemburgerinnen fungieren. Ein Weg, um mit ihnen in Kontakt zu treten, ist für sie Social Media. „Dort kann es auch mal passieren, dass die Ministerin höchstpersönlich auf eine Direct Message antwortet“, sagt sie und lacht. Das sei ihr wichtig, um ein direktes Feedback auf ihre politischen Entscheidungen zu bekommen. Gleichzeitig bietet gerade Instagram Bofferding die Möglichkeit, ihren Mitbürger:innen einen kleinen, ausgewählten Einblick in ihren Alltag zu geben und zu zeigen, was sie bewegt. Es scheint ihre Art zu sein, sich den Mitmenschen gegenüber nahbar zu zeigen. Es kommt vor, dass in der Story ein Bild von der Ministerin beim Joggen oder beim Lesen zu sehen ist. Oder ein Post im Feed, der sie neben dem den Sänger Joris zeigt. Und ihn beim nächsten Wiedersehen auf ein luxemburgisches Bier einlädt. Natürlich fehlt bei vielen ihrer Posts ihr Kernthema nicht: Sexismus und Gleichstellung. Dort antwortet sie mit persönlichen Posts auch jenen, die sie immer noch auf ihr Aussehen und die Farbe ihres Lippenstifts reduzieren.

„Mir selbst wurde schon oft genug gesagt, ich sei zu jung für die Politik. Dieses Gefühl möchte ich nicht weitergeben.“

Geht es nach ihr, sollten Kinder das Thema Gleichstellung schon von Anfang an verinnerlichen. So verteilt das Ministerium seit einiger Zeit Pixie-Bücher mit Titeln wie „Meine Mama ist Bürgermeisterin“ auf Deutsch, Französisch und Luxemburgisch. Die Kritik an der jungen unpolitischen Generation, hält die Ministerin für ein „blödes Vorurteil“.

Sie ist vom Gegenteil überzeugt, ihrer Meinung nach würden sich viele junge Menschen für die Gesellschaft engagieren. Aber eher themenspezifisch und weniger in klassischen Vereinen. Sie selbst sieht das auch immer wieder in ihrer Heimatstadt Esch. Um die politische Teilhabe gerade junger Menschen zu stärken, plädiert sie für ein Wahlrecht ab 16 Jahren. In dem gescheiterten Referendum zur Senkung des Wahlalters aus dem Jahr 2015 sieht sie ein katastrophales Signal in Richtung der jüngeren Menschen.

„Mir selbst wurde schon oft genug gesagt, ich sei zu jung für die Politik. Dieses Gefühl möchte ich nicht weitergeben.“ Gleichzeitig mahnt sie, dass man lang errungene Rechte wie das Abtreibungsrecht nicht für gegeben ansehen dürfe. „Dafür haben sich Generationen vor uns den Arsch aufgerissen“. Auch das fällt auf: Wenn sie über etwas wirklich passioniert spricht, schreckt sie nicht vor Umgangssprache zurück, um ihrem Standpunkt Ausdruck zu verleihen.

Heimatstadt Esch

Mit ihrer Heimatstadt Esch bleibt sie bis heute verbunden. Hier kennt sie viele Leute. Sie lebt zusammen mit ihrem Lebensgefährten bewusst noch dort, weil sie die Multikulturalität der Stadt genießt. „Als Innenministerin finde ich zwar alle Städte toll“, lacht sie, „aber Esch ist besonders, ich bin stolz auf die Stadt.“ Am Freitag ist die Gay Pride in Esch, da ist sie dabei. Und schaut bestimmt auch bei Jean-Claude im Pitcher auf einen Campari Orange vorbei.

Quellen